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Hirtenwort anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums des Ersten Ökumenischen Konzils

Hirtenwort des Patriarchen von Moskau und ganz Russland KYRILL an die Bischöfe, Priester, Diakone, Mönche und Nonnen sowie alle gläubigen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums des Ersten Ökumenischen Konzils Geliebte im Herrn, hochgeweihte Bischöfe, ehrwürd...…
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Hirtenwort des Patriarchen von Moskau und ganz Russland KYRILL an die Bischöfe, Priester, Diakone, Mönche und Nonnen sowie alle gläubigen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums des Ersten Ökumenischen Konzils

Geliebte im Herrn, hochgeweihte Bischöfe, ehrwürdige Priester und Diakone, gottselige Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!

Heute, am 7. Sonntag nach Ostern, gedenkt die Orthodoxe Kirche im Gebet und in der Verherrlichung des geistlichen Kampfes der heiligen Väter des Ersten Ökumenischen Konzils, das im Jahr 325 in Nicäa stattfand – einer kleinen Stadt unweit von Konstantinopel. In diesem Jahr jährt sich dieses welthistorische Ereignis der Kirchengeschichte zum 1700. Mal.

Rund dreihundert Bischöfe und ihre Abgesandten kamen aus nahezu allen Teilen der damaligen christlichen Welt zusammen, um eine der drängendsten Fragen zu erörtern, die über Jahrzehnte erbitterte Streitigkeiten ausgelöst und die Kirche buchstäblich zu zerreißen drohten. Der Verstand vieler Menschen war durch den Irrtum des alexandrinischen Presbyters Arius verwirrt worden, der lehrte, dass der Sohn Gottes nicht wahrer Gott, sondern lediglich das höchste Geschöpf Gottes sei. Indem Arius dies behauptete, versuchte er, den Glauben zu rationalisieren und das große Geheimnis der Gottseligkeit, die Menschwerdung Gottes, in eine abstrakte philosophische Lehre zu verwandeln (vgl. 1 Tim 3,16).

Die arianische Häresie berührte die tiefsten Grundlagen des christlichen Glaubens, sie verfälschte das evangeliumsgemäße Zeugnis vom Heil der Welt, um dessentwillen das Wort Fleisch wurde und unter uns wohnte, voll Gnade und Wahrheit (vgl. Joh 1,14). Die Kirche verwarf diese Irrlehre durch den synodalen Geist, verurteilte sie und formulierte das zentrale Dogma von der Wesensgleichheit (ὁμοούσιος) des Sohnes mit dem Vater, das wir im Glaubensbekenntnis der Göttlichen Liturgie bekennen. Der bedeutende Kirchenhistoriker Prof. Wassili Wassiljewitsch Bolotow schreibt: „Das Nicäische Symbol war so präzise, dass es nicht umgedeutet werden konnte – man konnte es nur annehmen oder ablehnen.“ (Lehrvorträge über die Geschichte der Alten Kirche, Band 4)

Die Kirchengeschichte ist nicht nur ein akademisches Studium vergangener Ereignisse oder eine Erzählung aus alten Zeiten, die wie vergilbte Seiten eines verwitterten Buches erscheinen. In der Geschichte der Kirche lebt und wirkt der Heilige Geist, der uns in die ganze Wahrheit leitet (vgl. Joh 16,13). Deshalb – und dazu rufe ich euch alle eindringlich auf – hilft das Studium der Kirchengeschichte uns, die Phänomene des gegenwärtigen religiösen Lebens besser zu verstehen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und die Geister zu prüfen (vgl. 1 Kor 12,10) und dabei die weise Vorsehung Gottes über Seine Kirche zu erkennen.

Von Beginn ihrer geschichtlichen Existenz an war und ist die Kirche eine Gemeinschaft der an Christus Glaubenden, die in lebendiger Erfahrung und geistlicher Wirklichkeit die Einheit im Sakrament der Heiligen Eucharistie erfährt, wenn wir mit einem Mund und einem Herzen den Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit bekennen und aus dem einen Kelch Christi kommunizieren. Der Heilige Geist lehrt die Kirche, auf die Herausforderungen der Zeit mit synodalem Verstand und im brüderlichen Dialog zu antworten. So war es beim Apostelkonzil in Jerusalem, das ein Wendepunkt für die Ausbreitung der Frohen Botschaft war und den universalen Charakter der Mission der Kirche bestimmte. So war es auch beim Konzil von Nicäa im Jahr 325, das den dogmatischen Sieg über die Häresie des Arius errang und diese Lehre als im Widerspruch zu den Fundamenten des christlichen Glaubens stehend verwarf. So war es auch bei den nachfolgenden heiligen Konzilien. Und so – glauben und hoffen wir – wird es bleiben bis zum Ende der Welt.

Heute, in einer Zeit, in der die Weltorthodoxie schwierige Prüfungen durchlebt und ein tiefgehendes theologisches Nachdenken über ekklesiologische Fragestellungen erforderlich ist, bezeugen wir mit Nachdruck aufs Neue: Die wichtigsten Entscheidungen, welche die Grundlagen des kirchlichen Seins, die Treue zur apostolischen Lehre und zur kanonischen Ordnung sowie die Verwirklichung der heilbringenden Berufung betreffen, „Säule und Fundament der Wahrheit“ zu sein (vgl. 1 Tim 3,15), müssen gemeinsam, im Geist der Einheit und im Band des Friedens getroffen werden (vgl. Eph 4,3).

Dies bezeugen wir unerschütterlich und beten, dass auf die Fürsprache der Väter des Ersten Ökumenischen Konzils der überreiche Gott gnädig auf Seine Kirche herabblicke und Seinen gläubigen Kindern Kraft und Weisheit, Mut und Standhaftigkeit schenke, damit sie das Salz der Erde und das Licht der Welt seien (vgl. Mt 5,13–14), Seine freimütigen Zeugen bis an die Enden der Erde (vgl. Apg 1,8) – bis Christus wiederkommt.

Indem ich auf euch alle, meine Lieben, den Frieden und den Segen Gottes herabrufe, wünsche ich euch das Wachsen in der Liebe und im Erkennen unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, Dem alle Ehre, Herrlichkeit und Anbetung gebührt mit dem Vater und dem Heiligen Geist, jetzt und allezeit und in die Ewigkeit der Ewigkeit. Amen!

+ Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland

Moskau, 1. Juni 2025