Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn, der heilige Apostel und Evangelist Lukas berichtet heute von der Fortsetzung des Weges des Erlösers und Seiner Jünger. Nach der Heilung des Besessenen von Gadara kehren sie an ihr Ufer des Sees zurück, und das Volk erwartet Ihn bereits. Die Menschen drängen sich um Christus; Jaïrus, der Vorsteher der Synagoge, fleht Ihn an, in sein Haus zu kommen, wo seine Tochter im Sterben liegt; und in all diesem Trubel eine Frau, die seit vielen Jahren an Blutungen litt.
Nach dem Gesetz des Mose galt diese Frau als unrein, und alles, was sie berührte, wurde ebenfalls als unrein betrachtet. Zwölf Jahre lang war diese Frau praktisch eine Ausgestoßene. Um niemanden zu beunruhigen, näherte sie sich heimlich, berührte den Saum des Gewandes des Erlösers – und empfing Heilung.
In der Beschreibung dieser Situation, wo die Menschenmenge Christus bedrängt und die kranke Frau Ihn berührt, kann man leicht ein Bild der Kirche erahnen. Man darf annehmen, dass es in dieser Menge Menschen gab, die hofften, etwas vom Herrn zu erhalten – sei es Heilung, Trost, Hilfe in ihren Angelegenheiten, irgendeine Hoffnung. Aber das Volk bedrängte Ihn lediglich, und nur von dieser Frau sagt der Evangelist, dass sie Ihn berührte. Und von niemand anderem als dieser einen Frau wird gesagt, dass er auf wundersame Weise das Ersehnte erhielt.
Oft kommen auch wir mit einer ganzen Reihe von Erwartungen in die Kirche – eine Kerze anzuzünden, gewisse Rituale zu erfüllen, in der Hoffnung, unsere Gesundheit zu verbessern und dass bei uns alles gut sein möge – aber bedrängen wir so denn nicht den Herrn? Versuchen wir denn damit nicht, wie die Heiden, göttliche Kräfte und die Natur zu manipulieren, während wir in Wirklichkeit nicht wirklich mit Gott und dem Schöpfer kommunizieren wollen, geschweige denn Ihm folgen und Seine Gebote halten, es sei denn, Er gibt uns das Erbetene?
So lässt sich Gott aber nicht zwingen. Er ist keine Naturgewalt und keine unpersönliche Energie, die man sich durch Rituale dienstbar machen kann. Gott ist eine Person, und Er tritt in eine Beziehung zum Menschen, Er gehorcht keinen Schemata. Die Formel "Ich erfülle – und Gott gibt" funktioniert nicht, weil der Herr nicht den Ritus sucht, sondern das Herz. Eine lebendige Begegnung mit Ihm ist die Hinwendung zu Gott, die Bereitschaft, auf Sein Wort zu hören und das eigene Leben zu ändern.
Der heilige Johannes Chrysostomus bemerkt1, dass der Glaube der Frau aus dieser Begebenheit sogar den Glauben des Synagogenvorstehers übertrifft. Jaïrus, ein angesehener Mann, handelt ganz offen und feierlich: Er führt Christus in sein Haus, zeigt allen seinen Glaubenseifer. Die Frau hingegen handelt still, unauffällig. Sie hält den Herrn nicht auf, sondern berührt nur Sein Gewand – und geht als erste geheilt fort. Chrysostomus sagt, dass Christus sie nicht zum Tadel ans Licht führt, sondern um den Umstehenden die Kraft ihres demütigen Glaubens zu zeigen und um Jaïrus selbst zu stärken: Der Glaube, der vor den Augen verborgen ist, ist oft stärker als die feierlichste Demonstration der Frömmigkeit. Und Christus heilt sie nicht nur, sondern schenkt ihr auch Trost: «Sei getrost, meine Tochter… geh hin in Frieden.»
Ein solches Vertrauen ist eine rechte "Berührung Christi".
Und die Tochter des Jaïrus erweckt der Herr wieder zum Leben, als es, wie es schien, bereits zu spät ist. Auf das Herz des Jaïrus war wohl die Last der Hoffnungslosigkeit gesunken, aber der Herr bewahrt ihn vor der Verzweiflung und spricht: «Fürchte dich nicht; glaube nur, so wird sie gerettet werden!» Diese Worte gelten auch uns, wenn die Umstände uns bedrängen und es scheint, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Dort, wo für den Menschen das Ende ist, handelt der Herr weiter.
Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns lernen, nicht um unseres Vorteils willen in die Kirche zu kommen, nicht zur Schau, und nicht, um den Herrn mit unseren Problemen zu "bedrängen", sondern mit dem Verlangen nach einer lebendigen Begegnung mit Ihm. Und da wir es wagen dürfen, Ihn nicht nur zu berühren, sondern sogar Seinen heiligen Leib und Blut zu empfangen, lasst uns danach streben, mit reinem und bedingungslosem Glauben und liebendem Herzen an Christus heranzutreten. Amen.
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Hl. Johannes Chrysostomus, Homilien zum Matthäusevangelium. Homilie 31:2. ↩