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Den Orthodoxen geht oft ein Ruf besonderer Strenge voraus. Für den Außenstehenden mag tatsächlich vieles am orthodoxen Ritual fremdartig erscheinen und doch ist es schwer, sich der Atmosphäre des orthodoxen Gotteshauses zu entziehen. Der Glanz der Ikonen, die sakralen Gesänge, brennende Kerzen und der Duft von Weihrauch tragen sicher das ihre dazu bei.


Altartisch (Prestol)

Gottesmutter

Jesus Christus; Fragmente der Ikonostase

 


Proskomidie vor der Göttlichen Liturgie

Der Begriff Orthodoxie leitet sich aus zwei griechischen Worten her: orthos (richtig, aufrecht) und doxa (Glaube) oder doxazo (lobpreisen). Er bedeutet also die rechte Art der Verehrung und stellt eine direkte Linie her von den christlichen Anfängen bis in die Gegenwart.

Seit den Tagen der Apostel fand der christliche Glaube trotz zahlreicher Verfolgungen im ganzen Römischen Reich immer stärkere Verbreitung. Kaiser Konstantin war der erste römische Herrscher, der sich zum Christentum bekannte und sich im Jahre 337 taufen ließ. Er baute Byzanz am Bosporus zur neuen Hauptstadt aus und gab ihr seinen Namen: Konstantinopel. Sein Nachfolger, Kaiser Theodosius, machte im Jahre 380 allen römischen Untertanen die Zugehörigkeit zur christlichen Reichskirche zur Pflicht.
Nach dem Zerfall des weströmischen Reiches ging das alte Imperium Romanum auf Konstantinopel über. Griechische Kultur, römischer Staat und christlicher Glaube verschmolzen hier zu einer neuen Synthese. Die gelehrten Brüder Kyrill und Method aus Thessaloniki schufen das erste slawische Alphabet und übersetzten die gottesdienstlichen Schriften ins Slawische. Ihre Tätigkeit half bei der Gründung der orthodoxen Nationalkirchen Ost und Südosteuropas und noch heute werden die Gottesdienste in der alten kirchenslawischen Sprache gehalten.

Als Gesandte des russischen Großfürsten Wladimir von Kiew, die den Auftrag erhalten hatten, die Religionen in den verschiedenen Ländern zu studieren, der Chrysostomus-Liturgie in der Sophienkirche zu Byzanz beigewohnt hatten, berichteten sie ihrem Herrn, sie hätten nicht gewusst, ob sie sich im Himmel oder auf Erden befänden. Mit der Heirat einer byzantinischen Kaisertochter empfing Fürst Wladimir im Jahre 988 die christliche Taufe und nahm damit für sich und sein Land den christlichen Glauben an. Nach der Invasion der Tataren und der Eroberung Kiews entstand in Moskau ein neues Machtzentrum, welches seit Beginn des 14. Jahrhunderts auch Sitz des Metropoliten war. Mit der Eroberung Konstantinopels durch die osmanischen Heere wurde die Position Moskaus entscheidend gestärkt. Im Jahre 1448 wurde die russische Kirche schließlich in die Selbständigkeit (Autokephalie) entlassen und 1589 das Moskauer Patriarchat errichtet. Heute ist die russische orthodoxe Kirche mit über 80 Millionen Gläubigen die größte autokephale orthodoxe Landeskirche.

Im Unterschied zur römisch-katholischen hat die orthodoxe Kirche kein administratives Zentrum mit einem Oberhaupt für alle Kirchen. Sie besteht aus 16 einzelnen Lokalkirchen, deren bedeutendsten ein Patriarch vorsteht. Die religiöse (dogmatische) und kirchenrechtliche (kanonische) Einheit wird dadurch garantiert, dass alle Lokalkirchen die auf den Ökumenischen Konzilen aufgestellten Dogmen und Kanones als unbedingt verbindlich anerkennen. Es ist dies die Voraussetzung für die tatsächliche Zugehörigkeit zur universalen orthodoxen Kirche, zur Weltorthodoxie.

Die Gottesdienste aller orthodoxen Kirchen stimmen im wesentlichen miteinander überein. Auch die russische Kirche benutzt jene Gottesdienstordnung, die in ihrer Substanz bereits in der Alten Kirche gebraucht wurde.

Der eucharistische Gottesdienst, der Hauptgottesdienst mit der Feier des Heiligen Abendmahles, wird in der Orthodoxie als Göttliche Liturgie bezeichnet. Sie ist seit alters her der Kern des orthodoxen Lebens. Es werden drei Formen der Liturgie unterschieden: die Liturgie des Patriarchen Johannes Chrysostomos von Konstantinopel (344-407), die nur an bestimmten Tagen zelebrierte Liturgie des Bischofs Basileios von Cäsarea (330-379) sowie die Liturgie der Vorgeweihten Gaben.


Erzengel Gabriel

Gottesmutter; Fragmente der Königspforte

 

Im orthodoxen Gottesdienst kommt der Vokalmusik eine bedeutende Rolle zu. Die orthodoxen Gesänge sind fester Bestandteil der Liturgie, in ihnen begegnen sich Priester, Diakon und Chor im Wechsel. Diese Gesänge sind keinesfalls nur schmückendes Beiwerk, sondern sie nehmen die Stelle des gesprochenen Wortes ein, geformt von der liturgischen Handlung. Diese Gesänge tragen sehr wesentlich zu der typischen, verinnerlichten Atmosphäre während des orthodoxen Gottesdienstes bei.

Eine Besonderheit orthodoxen Glaubens ist die Verehrung von Heiligenbildern, von Ikonen. Für den orthodoxen Gläubigen ist die Ikone, unabhängig von ihrer kulturhistorischen oder künstlerischen Würdigung und ihrer ästhetischen Bewertung, das Abbild des Heiligen, das ihn repräsentiert und bei dem er Schutz, Trost und Hilfe erfährt. Es ist der Ort, an welchem ihm der Heilige unmittelbar begegnet, ein Ort stiller Zwiesprache. An sie wendet er sich mit seinen Bitten, ihr erweist er die dem Heiligen zugedachte Ehre. Die Ikone nimmt also eine Stellvertreterfunktion ein. Daher liegt die Darstellung eines Heiligen nicht im Ermessen des Malers, sondern die Identität mit dem Urbild ist nur dann gesichert, wenn vorhandene Ikonen immer wieder treu kopiert werden. Der Heilige kann nur dann in seinem Bilde gegenwärtig sein, wenn es tatsächlich sein Abbild ist.


In den Festen des Kirchenjahres wird das orthodoxe Brauchtum besonders lebendig. Das Osterfest - die Auferstehung Christi - ist das höchste Fest der orthodoxen Kirche. Seit dem 4. Jahrhundert bereiten sich die orthodoxen Christen innerlich durch das Große Fasten, eine Fastenzeit von 40 Tagen, darauf vor. Während dieser Zeit übt der orthodoxe Christ den Verzicht auf Fleisch, Eier- und Milchspeisen. In der Nacht zum Ostersonntag versammelt sich die ganze Gemeinde zur Osterprozession um ihre Kirche und zum anschließenden festlichen Ostergottesdienst. Nach der Feier der Göttlichen Liturgie, oft schon in der Morgenstunde, segnet der Priester die mitgebrachten Osterkuchen (Kulitsch), die Ostereier und Milchspeisen (Pascha) und die Gemeinde trifft sich zu einem gemeinsamen fröhlichen Ostermahl, denn "Christus ist auferstanden! - Er ist wahrhaftig auferstanden!"

Ostern wird am Sonntag nach dem ersten Vollmond, welcher auf die Frühlings-Tagundnachtgleiche folgt, gefeiert. Christi Himmelfahrt und Pfingsten, die Ausgießung des Heiligen Geistes, folgen nach 40 bzw. 50 Tagen. Neben diesen "beweglichen" Feiertagen gibt es noch andere, die jedoch an ein festes Datum gebunden sind.

An dieser Stelle muss auf eine Besonderheit des orthodoxen Kirchenkalenders hingewiesen werden: er folgt der Datierung des alten Julianischen Kalenders, so dass zu dem heute gebräuchlichen gregorianischen Kalender eine Differenz von 13 Tagen besteht. Die Daten nach dem Alten Kalender werden im folgenden in Klammern wiedergegeben.

Der 14. Januar (1.1.) ist der Tag der Beschneidung des Herrn. An diesem Tag wird die Basileios-Liturgie zelebriert. Seit dem 2. Jahrhundert wird am 19. Januar (6.1.). dem Epiphaniastag, der Taufe des Herrn gedacht. Mit der Zeremonie der Wasserweihe wird der Gang Jesu zum Jordan nachvollzogen. Die Gläubigen trinken das geweihte Wasser und nehmen es mit nach Hause.

Das Fest der Darstellung des Herrn am 15. Februar (2.2.) entspricht dem Tag Maria Lichtmess der westlichen Kirche. Es erinnert an das Erstlingsopfer Jesu 40 Tage nach seiner Geburt. Unter Kaiser Justinian wurde es in Konstantinopel im Jahre 542 erstmals festlich begangen. Am 7. April (25.3.) wird das Fest der Verkündigung an die Gottesmutter gefeiert. Das Fest der Verklärung Christi wird am 19. August (6.8.) begangen. Die Errichtung einer Kirche auf dem Berg Tabor ist seit dem 5. Jahrhundert Ausgangspunkt dieses Festes.

Dem westlichen Mariä-Himmelfahrt-Fest ähnlich ist der orthodoxe Festtag Entschlafen der Gottesmutter am 28. August (15.8.). Ihm geht eine zweiwöchige Fastenzeit voraus.

Das Fest Maria Geburt am 21. September (8.9.) wird seit dem 6. Jahrhundert gefeiert. "Deine Geburt, Jungfrau, Gottesgebärerin, hat alle Welt mit Freude erfüllt. Denn aus Dir ging auf die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott."

Der 27. September (14.9.), das Fest der Kreuzerhöhung gehört zu den hohen Festen der orthodoxen Kirche. Es wurde schon im 4. Jahrhundert in der Jerusalemer Grabeskirche gefeiert zum Andenken an die Auffindung des Kreuzes Christi am 13. September des Jahres 326.

Auf eine legendäre Vision der Bewahrung Konstantinopels vor feindlicher Bedrohung geht das Fest Pokrow (Bedeckung) zurück. Es wird am 14. Oktober (1.10.) gefeiert.

Der Tag der Einführung der Gottesmutter in den Tempel wird am 4. Dezember (21.11.) gefeiert. Erstmals wurde dieses Fest im 8. Jahrhundert bezeugt. Dem deutschen Weihnachtsfest entspricht das Fest der Geburt Christi. Es wird vom 6. bis 8. Januar (24. bis 26.12.) gefeiert. Die Gemeinde bereitet sich darauf mit einem vierzehntägigen Fasten vor. Die Swjatki, die Heiligen Tage, die auf das Weihnachtsfest folgen, sind durch besondere Freude geprägt. Weiterhin kennt die orthodoxe Kirche noch eine Reihe von Festtagen zum Gedenken an bestimmte Heilige wie z.B. Petrus und Paulus am 12. Juli (29.6.) oder Nikolaus von Myra am 19. Dezember (6.12.).


Mit angezündeten Kerzen treten Gemeindemitglieder die Kreuzprozession an